Die Kunst der Stunde: Sich selbst treu sein

Die Farbe der Treue. (via Pixabay)
Man macht sich am besten gar keine Illusionen: Mit der Treue ist's auch nicht mehr weit her. Sie ist eine stinknormale Handelsware. Ganz egal, ob sie nun Treuepunkt, Goldtaler oder Meilsundmor heißt: Es sind Fantasiewährungen mit einem verdammt schlechten Umtauschkurs.

Woran man das auf hundert Meter gegen den Wind erkennen kann? Die Punkte, Taler, Meilen kommen niemals allein, sondern immer und ausschließlich fest verschweißt mit dem verräterischen Adjektiv "wertvoll". Schon mal aufgefallen?

Das einzig Wertvolle bin ich, der treu-doofe Kunde, der seine Daten für ein paar "wertvolle" Placebos eintauscht.

Dann doch lieber: Treue schenken.

Weil es mir ein Herzensanliegen ist. Weil mir jemand viel bedeutet. Weil ich es so möchte, aus freien Stücken und freiem Antrieb. Weil es wichtig ist.

Wann habe ich mir selbst zuletzt die Treue geschenkt? Ich habe den Eindruck, manchmal ist es viel leichter, anderen Menschen gegenüber treu zu sein, anhänglich, aufmerksam, nicht berechnend – aber ausgerechnet mir selbst gegenüber werde ich immer wieder untreu.

Da gibt es tausend Gründe, plötzlich nicht mehr auf mich und meine Bedürfnisse zu achten, meine Prioritäten zu missachten und meine Prinzipien mal kurz über Bord zu werfen. Oder mir gleich selbst in die Tasche zu lügen.

Ob es damit zusammenhängt, dass es nicht immer positiv klingt, wenn man über einen Menschen sagt: "Der ist sich immer treu geblieben"? Da schwingt ja meistens mit, dass jemand seine Spleens genüsslich kultiviert und sich einen Dreck drum kümmert, ob er anderen damit unendlich auf die Nerven geht. Manchen ist das ein Freibrief für Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber. Was für ein Fehler!

Treue gegenüber sich selbst hat viel mit Wachsamkeit zu tun. Wach sein zu erkennen, wo ich mich ohne Not einengen lasse – und damit unter meinen Möglichkeiten bleibe. Wach sein zu erkennen, ob meine Prioritäten überhaupt noch die richtigen sind – oder ob veränderte Situationen ganz anderes von mir brauchen. Wach sein zu erkennen, was meine tatsächlichen Stärken und Fähigkeiten ausmacht  – oder ob ich mich begnüge mit dem, was andere von mir verlangen. Wach sein zu erkennen, ob der Kompass noch verlässlich die Richtung anzeigt.

Man könnte beim Evangelisten Markus nachblättern, zwölftes Kapitel:

Ein Schriftgelehrter (...) fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.

Sich selbst treu zu werden und auch zu bleiben, das geht auf keine Kundenkarte. Das ist eine Lebensaufgabe.

Dafür stimmt dann aber die Valuta.

(Clemens Prokop)