Die Kunst der Stunde: Seelenhygiene

 

Manchmal, ich gestehe, bleibe ich abends vor lauter Müdigkeit und Sehnsucht nach einem vertrauten Ritual bei einer alten Folge House oder noch urälterem Monk hängen.

Neulich war wieder so ein Tagesausklang, und die längst bekannte Episode – Willie Nelson trat auf – machte mich fast wahnsinnig: Ständig schüttelten sich da die Menschen die Hand.

Und was soll ich sagen, nach einem halben Jahr der Ära Covid: Nichts hätte sich fremder anfühlen können als diese harmlose dreiviertel Stunde Fernsehunterhaltung, nichts seltsamer und nichts – erschreckender.

Jede neue Handshake-Szene verursachte wieder diese intuitive Pein: Nein! möchte ich dem Protagonisten unwillkürlich zurufen, als stürze er sich geradewegs in sein Verderben, nein! tu's nicht!

Es tut überhaupt nichts zur Sache, was nun von unseren neuen Hygiene-Regeln wirklich schützt. Und was eher einer "gefühlten Sicherheit" geschuldet ist. Ich stelle aber an mir selbst fest, dass ich im Bus krätzig reagiere, wenn Menschen nonchalant auf Maske verzichten.

Warum nur?

Fühle ich mich unmittelbar bedroht? In erster Linie lese ich dieses Verhalten als grobe Unhöflichkeit. Als ein bewusstes Ignorieren eines Common Sense, einer jener stillschweigenden, aber verbindlichen Abmachungen, die alle Gemeinschaften nun einmal treffen müssen. Das beginnt in der eigenen Familie.

Die Welt ist berührungsloser geworden. Das freut natürlich die Hersteller von Sensoren. Und von Desinfektionstüchern. Wie oft ruft Monk, der Meisterdetektiv und Keimphobiker, panisch nach dem rettenden Kleenex: Wipe! Wipe!

Das ist keine Feststellung, hier schreit die nackte Verzweiflung. "There's so much nature out there..." Es ist seine persönliche Kapitulation: Wohin man auch blickt, so viel Natur. So scheußlich viel Natur.

Ich komme drauf, weil ich in der vergangenen Woche wieder das Vergnügen toxischer Meetings hatte. Es ging aufgeregt drunter und drüber, die Laune war schlecht bis ganz schlecht – und wir waren schon froh, als wir am Ende alles irgendwie ins Wechselhafte gerettet hatten.

Was für ein Zirkus! Welch eine Energie- und Lebenszeitverschwendung.

Wären wir in unserem Austausch doch nur halb so diszipliniert gewesen wie beim Händedesinfizieren! Halb so präzise wie beim Maskenanlegen! Halb so umsichtig wie beim Abstandhalten!

Schlechte Gedanken und schlechte Stimmung haben mit dem Virus etwas gemeinsam: Sie sind hoch ansteckend. Sie pflanzen sich fort. Sie breiten sich aus. Und wenn sie einmal in der Welt sind, dann gehen sie nicht mehr weg.

Um ehrlich zu sein: Ich habe vor einer vergifteten Stimmung mehr Angst als vor dem Virus. Die kann dir nämlich in Nullkommanichts ein Projekt an die Wand fahren oder den Arbeitsplatz zur Hölle machen.

Ich ahne, was zu tun ist.

Für das nächste Meeting brauchen wir unbedingt ein neues Hygienekonzept. Nicht für den Virus. Sondern für unser Denken, Sprechen und Handeln.

(Clemens Prokop)