Die Kunst der Stunde: Verschwenden

Der Maßkrug des Asketen (via Pixabay)
Von den Reichen, weiß der Weltgeist, kann man das Sparen lernen.

Das mag ja sein. Aber erstens bleibt das Geld bekanntlich gerne unter sich, so dass es (jedenfalls für mich) nicht so ganz einfach ist, aus nächster Nähe zu lernen. Und zweitens ist der Fall sowieso klar: Wenn es darum geht, den Schutzheiligen aller Sparfüchse zu casten, dann zögere ich keine Sekunde und vote für meinen Großvater.

Schon rein äußerlich konnte man nie genau sagen, wo der Asket aufhörte und der Hungerkünstler begann. An seine Trinkgewohnheiten erinnere ich mich nur ungenau. Vermutlich benutzte er einen Fingerhut, wenn er sich alle heiligen Zeiten einmal einen Trunk gönnte. Ganz nach dem Motto: der zweite Schluck schmeckt auch nicht anders als der erste.

Eine besondere Meisterschaft zeichnete ihn aus in der Sammlung, Archivierung und Wiederverwertung von Bleistiftstummeln und bedrucktem Papier, das er zu Notizzettelchen umarbeitete. Seine Dankbarkeit für billigste Werbegeschenke war legendär. 

Ich bin mir sicher, dass mein Großvater nur maliziös gelächelt hätte über die Toilettenpapierhamsterkäufe des Jahres 2020.

Nichts liegt mir ferner, als mich darüber lustig zu machen. Krieg, Gefangenschaft und Vertreibung waren ja nur die großen Wegmarken einer Biografie, die den Luxus nicht kannte – oder, genauer gesagt, das entspannte oder auch naive Vertrauen, dass es auch morgen noch geben könnte, was ich zum Leben brauche.

Meinen Großeltern verdanke ich, dass eines der drängenden Probleme unserer Zeit für mich nie ein Thema war: Foodwaste? Was bitteschön sollte das sein?

Wir zogen unsere Großmutter immer wieder damit auf, wenn sie für uns einen Kuchen zauberte, zaubern musste, aus dem einen und einfachen Grund, weil sie noch eine halbe Hefe im Kühlschrank hatte. Sie hatte immer eine halbe Hefe im Kühlschrank.

Mit Großmutters legendärem Bienenstich bin ich nun endlich auch bei meinem heutigen Thema. Denn an uns sparten die Großeltern nie. Was sie sich selbst nicht gönnen wollten und konnten, alles das verschwendeten sie an uns.

Ich denke, dass Verschwendung eine große Kunst sein kann – wenn man Verschwendung als genau diese liebevolle Großzügigkeit betrachtet, die keine Gegenleistung fordert, die kein Deal ist, die im Gegensatz maßlos sein muss, weil sie kein Ziel kennt.

Diese Verschwendung ist – anders als die landläufige Vorstellung – weder Gedankenlosigkeit noch Egoismus.

Wir haben uns so sehr an Effizienz gewöhnt, dass es uns völlig normal scheint, selbst unsere Zeit, die wir mit anderen verbringen, einem rigiden Asset Management zu unterwerfen. Immer nagt die Ressourcen-Frage: Lohnt sich das? Kann ich das nicht besser einsetzen? Wo ist der Value, wo ist Better Value?

Bäh!

Meine Freundin Susann, die sich glücklicherweise manchmal traut, von der gepflegten Hochsprache abzuweichen, sie würde jetzt wahrscheinlich sagen: Scheiß der Geier drauf!

Der erste öffentliche Auftritt eines gewissen Jesus aus Nazareth ist übrigens eine eindrucksvolle Geschichte der Verschwendung. Man kann das hier bei Johannes nachlesen.

Und so geht das grade weiter: die liebevolle Großzügigkeit wird zum roten Faden. Ob nun der Bauer auch auf hartem Boden sät oder bei den Fünftausend eine Menge übrig bleibt: Alles spricht nicht nur von einer Fülle, sondern einer Überfülle an Liebe – ein göttlicher Verschwendungskünstler zeigt allen Erbsenzählern und Korinthenkackern, wie man das macht.

Eigentlich ist es ganz einfach.

Alles darf ich verschwenden – es sind nur zwei minikleine Bedingungen daran geknüpft: Erstens darf ich niemandem etwas wegnehmen, auch mir selbst nicht; ich kann also nur Dinge verschwenden, über die allein ich im Überfluss verfüge. Und ich darf, zweitens, nur an andere verschwenden, für andere verschwenden. Der Gedanke dahinter: Es ist genug für alle da.

In der Werbung gibt es den alten Spruch: "Jeder zweite Euro ist zum Fenster rausgeworfenes Geld. Du weißt nur vorher nie, welcher es sein wird."

Für die Verschwendung meiner Liebe, meiner Zeit, meiner Fürsorge und Treue würde ich auch weit ungünstigere Prognosen akzeptieren.

(Clemens Prokop)