Die Kunst der Stunde: Grundfröhlichkeit

Mit Grundfröhlichkeit geht das (via Pixabay)
Endlich wieder Zug fahren!

Während sich die einen in Urlaub verabschieden, beginnt bei mir wieder berufliche Rastlosigkeit.

Nach Corona fühlt sich Intercity an wie ein großes Privileg. Die Auslastung ist – wie lange noch? – überschaubar.  Das ist doch fast wie im Paradies: ein bisschen gemütlich arbeiten, bisschen Blick aus dem Fenster dösen lassen und noch vor Mittag entspannt ankommen.

Na, wenn das keine gute Reise wird.

Zumindest bis Stuttgart.

In Stuttgart war klar, dass der Anschlusszug keine Verspätung haben wird. Sondern gleich ganz ausfällt. Da ist sie wieder zurück, die Klischee-Bahn – und mit ihr sind plötzlich alle meine Klischee-Aggressionen auch wieder in Stellung und schlagen heftig aufs eben noch sonnige Gemüt: immer das Gleiche, nur Verspätung, hättste bloß den Flieger genommen.

Der Mann vom Service macht mir verhalten Hoffnung. Es gibt Alternativen, schon eine Stunde später ginge der nächste Zug.

Ich schaffe es nicht, ein höhnisches Lachen zu unterdrücken. Ich denke, der Mann erwartet das vielleicht sogar. Wer diesen Job hat, der will doch beschimpft werden. Ich grummle, stöhne, verfluche mein Schicksal und versinke in Selbstmitleid, denn die Eingeweihten wissen: Es gibt zurzeit schönere Orte, um eine Stunde totzuschlagen und die Mittagstermine neu zu organisieren.

Die plötzliche Sehnsucht nach einer Toilette zerreisst mich fast. Wo finde ich denn die jetzt wieder auf dieser verdammten Baustelle?

Wer mich kennt, hat eine ungefähre Vorstellung, wie ich ausgesehen haben muss. Grumpfelig. Grummelig. Grimmig.

Ping!

Ah! Der Verspätungsalarm meldet sich auch schon, sehr hilfreich, dachte ich gallig. Weit gefehlt – es war ein Engel aus einer anderen Welt. "Hey", simste der Engel, "ich schick dir einen Sack Grundfröhlichkeit. Betrachte die Wartezeit doch als geschenkte Zeit für dich."

Die Grundfröhlichkeit, das sollte ich vielleicht erklären, gehört zu jenen Worterfindungen, die bei uns ein wundervolles Eigenleben entwickelt haben. Grundfröhlichkeit klingt nicht ohne Grund wie Grundeinkommen oder Grundwasser: das ist so eine stille Fröhlichkeit, die einen trägt, auch wenn man gar nicht wunder was fröhlich ist.

Mit Grundfröhlichkeit gelingt alles besser, sogar die Traurigkeit, Niedergeschlagenheit oder Enttäuschung. Weil sie eine Erinnerung daran ist, dass noch auf die schwärzeste Nacht ein neuer Morgen folgt. Und weil sie erinnert, dass wir nie alleine sind.

Mit Grundfröhlichkeit muss man nicht einmal lächeln. Aber es hilft natürlich.

Die Grundfröhlichkeit kann man ganz einfach per Whatsapp verschicken. Ich verschwende sie für liebe Menschen meistens sackweise. Man kann sie aber auch in jeder anderen Form wünschen.

Ich kann nur wärmstens empfehlen, das einfach mal auszuprobieren. Hex hex! Es funktioniert fast immer.

Mir hat die Grundfröhlichekit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Und mich daran erinnert, dass die Verspätung nun wirklich kein Drama war. Die Terminverschiebungen waren null Problem, ich war eine geschenkte Stunde später am Ziel, und alles löste sich in Wohlgefallen auf: Prokop, nimm dich mal nicht so wichtig.

Die unverhofft geschenkte Grundfröhlichkeit hatte meine negative Energie komplett absorbiert. Eventuell hatten sogar meine Mitreisenden etwas davon, sollte ich auch wieder etwas sympathischer aus der Wäsche geguckt haben.

Als wir den Bahnhof verließen, hatte der Zugchef "auch die Fahrgäste aus dem in Stuttgart verendeten ICE" begrüßt. Und schon da konnte ich mich doch richtig amüsieren.

(Clemens Prokop)