Die Kunst der Stunde: Brot backen

Zwei sind besser als eins.
Zu den großen Merkwürdigkeiten des Konsumverhaltens während der frühen Corona-Zeit gehören neben der absurden Toilettenpapiersituation auch die Hamsterkäufe im Backregal.

All die spätberufenen Last-minute-Prepper stürzten sich auf Mehl und Hefe – wo auch immer man sein Glück versuchte, alles war ratzfatz ausverkauft, als gäb's kein Morgen.

Dieses urplötzliche Verlangen nach DIY-Brot ist doch toll, dachte ich; eine längst überfällige Gegenbewegung auf all das extrudierte Convenience-Zeug.

Aber eine Biomühle in der Nachbarschaft bremste meinen Optimismus.

Der plötzliche Neukundenansturm hatte sie überrollt, also hängten die Müller besorgt ein Schild in ihren Onlineladen: Nicht mehr als zwei Kilo Mehl pro Kunde und Sorte sollte es geben. Die Begründung dafür war ihre Sorge, dass am Ende doch alles nur weggeschmissen würde.

Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. Denn für mich ist Brotbacken die faszinierendste Alchemie schlechthin: die magische Verwandlung von ungenießbaren Zutaten in etwas substanziell Neues.

Man darf halt keine Angst haben vor Kohlehydraten.

Seit einiger Zeit haben wir einen Mitbewohner, der recht still und genügsam sein Dasein im Kühlschrank fristet. Die Kinder haben ihn liebevoll "Blubbi" getauft.

Alles begann damit, dass ich ein wenig Roggenmehl mit Wasser verrührte und diesen grauen Sandkastenschlamm an einen warmen Ort stellte.

Zunächst passierte gar nichts.

Dann begann der Schlamm etwas zu riechen. Ich schnüffelte. Und meine Unsicherheit wuchs, ob das alles nicht einfach nur fröhlich vor sich hin gammelte.

Nicht gleich aufgeben.

Ich fütterte den Schlamm und rührte fleissig.

Und siehe da: nach ein paar Tagen begann die Masse, kleine Bläschen zu werfen. Es begann zu leben. Blubbi hieß damals noch nicht Blubbi, aber ich war fasziniert, was da wie aus dem Nichts entstand.

Wir päppelten das Geschleime, so gut wir eben konnten, bis wir uns endlich trauten. Wir nahmen eine Hälfte des Breis, das waren ja nur ein paar Gramm, gaben Mehl und Wasser und Salz dazu, kneteten einen Brotlaib. Und ließen alles ruhen.

Das heißt: nichts ruhte da, sondern es ging.

Zum ersten Mal ahnte ich, was es heißt, wenn ein Teig durchsäuert: wenn sich die Kraft des bisschen Sauerteig ausbreitet und vom ganzen Laib Besitz ergreift. Mich fasziniert bis heute, viele Generationen später, wie Blubbi immer wieder aufs Neue das Brot gären und aufgehen lässt.

Es ist nicht jedermanns Geschmack, das ist mir klar, aber ich liebe diesen dezenten, ganz feinen säuerlichen Geruch, mit dem alles durchsetzt ist.

Wir haben Blubbi schon mehrmals geteilt mit lieben Menschen, und ich hoffe, die verlieren genauso wenig die Lust an ihm wie ich. Immer, wenn ich das frisch gebackene Brot aus dem Ofen hole, staune ich: Weil ich dran denke, wie alles begann.

Mit Blubbi habe ich endlich eine ganz praktische Vorstellung vom Gleichnis, wie es Lukas und Matthäus überliefern. Mit dem Himmelreich, sagt Jesus, ist es nicht anders wie mit Sauerteig – man braucht nur eine kleine Menge, aber sobald man diese mit Mehl vermischt, ist die Ausbreitung nicht zu stoppen.

Ein Satz, der sitzt. Ich mag dieses Bild sehr. Nicht nur, weil aus einem Nichts eine große Veränderungskraft entsteht. Sondern weil dieser Sauerteig – den wir alten Profis natürlich nicht Sauerteig nennen sondern Anstellgut – ganz dringend das "normale" Mehl braucht, mit dem es in Berührung kommt und vermischt wird, um seine eigentliche Wirkkraft zu entfalten.

Sobald wir Blubbi wieder zurück in den Kühlschrank stellen, heißt das ja: Halt ruhig, Kleiner. Wir sedieren ihn sozusagen. Und natürlich frage ich mich, wie oft wir selbst mit all unserem Potenzial so gechillt wie wirkungslos vor uns hindümpeln.

Dabei hat Blubbi das Zeug zum ewigen Leben. Er braucht dazu gar nicht viel, er will nur ab und zu ein wenig gefüttert werden.

Noch etwas gefällt mir am Gleichnis. Es gibt nämlich nicht den einen Sauerteig. Sondern jede Kultur ist einzigartig und hat ihren eigenen Geschmack, der sich mit der Zeit verändert und festigt.

In Belgien gibt es sogar eine weltweit einzigartige Bibliothek für dieses Phänomen: über 100 Sauerteigkulturen werden dort aufbewahrt. Ich finde, das ist schon fast eine Arche Noah für guten Geschmack.

Und wo wir schon beim guten Geschmack sind: Niemand komme mir in diesem Zusammenhang mit Herman, dem lästigen Kuchenpilz.

Der ist eine völlig andere Kategorie, schon deshalb, weil ich die Finger vom Süßen lasse. Von meiner Schwiegermutter weiß ich, dass mich zum Kuchenbelegen nicht eigne; von meiner Frau ernte ich schon mit dem Backergebnis nur mitleidiges Lächeln; und die Kinder urteilen mit ihrem Kauverhalten. Leider eindeutig.

Aber beim Brot, da bin ich zuhause. Bei dieser Art von Zauberei kann man halt auch nichts falsch machen. Ich hoffe nur, all das Corona-Mehl wandert nicht in den Müll. Sondern bringt viele Hobby-Bäcker zum Staunen. Vielleicht sogar zum Nachdenken.

(Clemens Prokop)