Die Kunst der Stunde: Kühlen Kopf bewahren

Wasser marsch! (via Pixabay)

Aus gegebenem Anlass und weil mich meine Schwester neulich an diverse Jugendsünden erinnerte: 's isch wieder Sommer! Ich muss zugeben, ich hatte den Song ungefähr drei Klassen charmanter in Erinnerung. Aber das ist entweder der Sommerhitze geschuldet oder eine weitere erschreckende Illustration der Verklärungskraft zunehmenden Alters.

Wir müssen das heute nicht klären.

Endlich sind sie da, die paar Tage Hochsommer, und schon stöhnt und jammert es von überall. Vergessen die Tristesse der grauen Regentage, all die frösteligen Terrassenabende: Jetzt kann man schon nicht richtig in den Süden fahren, um am Strand zu braten, und dann auch noch diese fürchterliche Hitze!

Die Welt ist so scheußlich ungerecht.

Und damit zu etwas völlig anderem: Ich möchte heute gerne und endlich einmal über den Hitzkopf sprechen.

Sowohl der Hitzkopf als auch der Heißsporn gehören zur Familie der Fanatiker. In den vergangenen Jahren haben manche von ihnen erstaunliche Resistenzen gegen natürliche Feinde entwickelt. Die Folge ist eine zunehmende Verbreitung selbst in zunächst unwirtlichen Umgebungen.

Der Hitzkopf ist eine Person, die sich leicht erregen lässt und sich deshalb unbeherrscht und unbesonnen verhält.

Zwei Eigenschaften kommen bei ihm also zusammen und gehen eine unheilvolle Liaison ein: die leichte Entflammbarkeit gewissermaßen als Grunddisposition sowie die Lust am Lodern.

Beides für sich genommen ist kein großes Drama.

Auch eine Kerze ist leicht zu entzünden, wird sich aber dann – aller Wahrscheinlichkeit nach – vernünftig verhalten und kontrolliert abbrennen. Anders sieht das aus, wenn ich aus der Kerze eine Rakete mache und das Wachs durch, sagen wir: Dynamit ersetze. Alle Erfahrung lehrt uns, in diesen Fällen ein wenig Vorsicht walten zu lassen.

Man sollte Hitzköpfe keinesfalls verwechseln mit Zündlern und Brandstiftern. Die sind in ihrer Persönlichkeitsstruktur völlig anders gelagert. Die warten nicht ins Blaue, sondern die wollen ja gerade, dass etwas passiert und außer Kontrolle gerät.

Die Zündler, fürchte ich, wird man nicht ändern.

Das Pyromane, die Lust am Abfackeln, gehört zu ihrem Quellcode. Und wenn man ihnen das Feuer nimmt, werden sie sich andere Betätigungsfelder suchen. Sie werden fröhlich spalten, Menschen gegeneinander ausspielen, Verwirrung stiften, Freundschaften zerstören.

Wie diese Art der schwarzen Magie funktioniert, ist auf wunderbarste Weise in Streit um Asterix nachzulesen. In seiner psychologischen Letztgültigkeit ist das ein Stück Weltliteratur. Und allein wie sich die Sprechblasen kotzgrün färben, sobald der begnadete Giftzwerg Destructivus Erfolg hat, sagt schon alles.

Man muss aber zugeben: Mit den Hitzköpfen im gallischen Dorf hat er ziemlich leichtes Spiel. Um die in Rage zu bringen, dazu brauchts nicht viel, das ist ein Selbstläufer. Dabei haben René Goscinny und Albert Uderzo diese Parabel in einer Welt erzählt, in der sich noch keine Social-Media-Pulverfässer stapelten.

Wem die überhitzte Dauerregung in unserer Gesellschaft auf die Nerven geht, darf gerne schon mal an den Pool und die Wasserpistole zücken. Von den Profis lernen heißt ja: die noch funktionierenden Strukturteile kühlen, damit sich das Inferno nicht weiter ausbreiten kann. Alles weitere erklärt die Maus.

Bei anderen sieht man immer sehr leicht, wie dämlich Hitzköpfigkeit ist. Bei sich selbst fällt die Erkenntnis wie immer viel schwerer. Dabei kann man sich viel früher an der eigenen Nase packen: Immer dann, wenn man sich aufregt, weil irgendwas ja "mal wieder so typisch" alle Vorurteile bestätigt, weil die Chefs wie immer alle und grundsätzlich bescheuert sind, weil die andern mal wieder nicht tun, wie ich mir das vorstelle.

Es sind diese gemeinsamen Aufreger am Familientisch oder über den Gartenzaun hinweg – der mögliche Nutzen als Seelenhygiene wird gemeinhein kolossal überschätzt. Man kann das sehr leicht am Umstand ablesen, dass die Aufreger damit nicht erledigt sind, sondern sich der Furor je häufiger je hoffnungsloser entfacht.

Dem Munitionsdepot ist herzlich egal, woher der Funken fliegt. Will heißen: Die eigene Hitzköpfigkeit verrät mehr über mich als über das Unvermögen der anderen.

Dafür spricht auch, dass es sich seit Urzeiten besser aufregt, je unvollständiger die Information. Das wussten bereits die alten Römer und prägten deshalb den eisernen Grundsatz für ihre Rechtsprechung, dass zu jeder Geschichte mindestens zwei Erzählweisen gehören.

In den arabischen Geschichten von 1001 Nacht heißt es, meist an die jugendlichen, zur blutrünstigen Rachsucht neigenden Heißsporne gerichtet, nicht etwa "behalte einen kühlen Kopf" – sondern: "Sei guten Mutes und kühlen Auges."

Das kühle Auge ist vielleicht das schönste Bild für die Lunte, die direkt in die zundertrockenen Flausen führt, mit denen der Schädel (nicht nur in jungen Jahren) nunmal vollgestopft ist.

Was ich höre, was ich sehe: erst einmal runterkühlen, bevor ich meine Schlüsse ziehe – damit es keine Kurzschlüsse werden.

Die Kunst, einen kühlen Kopf zu bewahren, ist keine Hexerei. Sie muss aber gerade und vor allem mit den scheinbar banalsten Dingen ständig trainiert werden. Sie besteht darin, gnadenlos alle Eindrücke erst einmal in Quarantäne zu stecken.

Oder, noch besser, in ein imaginäres Abklingbecken.

(Clemens Prokop)