Glauben.Leben (9) – Kleine Aus-Zeiten

Das digitale Stundenbuch
Natürlich wartete in in diesem Jahr vergeblich auf eine ganz bestimmte Email. Nämlich auf die fröhliche Frage des Schola-Leiters Andreas Röhler: Wer macht mit, den Ostersonntag in der Vesper ausklingen zu lassen?

Die Schola auf dem Schönenberg existiert nicht als festes Ensemble, sondern funktioniert sozusagen auf Zuruf. Und wenn immer es möglich ist, versuche ich aus der Ferne dazuzustoßen. Es ist schon faszinierend zu sehen, wie über die Jahre eine Gruppe zusammengewachsen ist, die trotz wechselnder Besetzung sich auch als "die Schola" fühlt. Für mich ist das Tradition, wie sie sein soll: nicht ein "Wir haben das immer schon so gemacht", sondern eine organisch gewachsene, lieb gewordene gemeinsame Übung.

Ich erinnere mich an die Anfänge. Wir haben geübt wie die Weltmeister, wir waren aufgeregt wie vor einem Konzert, und die Vesper-Besucher waren ungemein nachsichtig mit unseren manchmal ganz schön schrägen Leistungen. (Belohnt wurden wir dennoch imer großzügig mit Bruder Heinrichs dampfendem Fleischkäse.) Längst ist die Nervosität einem gemeinsamen singenden Beten gewichen.

Wobei ich zugeben muss: Als Jugendlicher fand ich die abendliche Vesper an den Hochfesten immer fürchterlich öde und langweilig. Heute ist es gerade ihre unaufgeregte Schmucklosigkeit, die mich anspricht. Die Gewissheit, dass ich mich mit dem Stundengebet völlig unkompliziert einklinken kann in eine weltweite Gebetsgemeinschaft.

Wenn wir in Corona-Zeiten lernen, was es in der Realität heissen kann "im Gebet miteinander verbunden zu sein", dann ist das für uns eigentlich überhaupt keine neue Erfahrung. 

In "normalen Zeiten" ist mir das Stundenbuch auf dem Telefon zum ständigen Begleiter geworden. Nicht jeden Tag, aber doch sehr oft nutze ich die Zeit im Flugzeug oder im Zug, selten genug auch in der freien Natur, für eine Viertelstunde Auszeit. Aus toter Zeit wird für mich Lebens-Zeit. Und die App macht's mir ungeheuer leicht: Sie führt mich, und auf Knopfdruck habe ich alles, was ich brauche.

Gerade die "sperrigen", die scheinbar quer stehenden Psalmen sind mir in der regelmässigen Wiederholung ans Herz gewachsen. Das sind keine weltentrückten Altersweisheiten. In den Psalmbetern begegnen mir Menschen, die mir verdächtig bekannt vorkommen: Männer und Frauen, die mitten im Leben stehen. Und gezeichnet sind von den Stürmen der Welt.

Weiß Gott: Das waren weder Träumer noch Frömmler!

Sondern Menschen mit Wunden und Narben, wie sie sich nur Menschen gegenseitig zufügen können. Mit Enttäuschungen und Schicksalsschlägen, wie wir sie auch heute im Berufsleben, im Familien- und Freundeskreis erleben. Mit der Erfahrung von Neid, Missgunst, Intrigen, von Krankheit und Selbstmitleid. Einsamkeit, Schmerz und Verzweiflung. 

Und trotzdem: Ihre Hoffnung auf Gott überstrahlt alles. Weil mich diesen sehr menschlichen Betern so nahe fühle, darf ich auch ihre Gottesahnung teilen. Am digitalen Stundenbuch trage ich nicht schwer – es begleitet mich gewiss auch nach Corona.

Clemens Prokop

Das Digitale Stundenbuch gibt es für iPhone, Android und einfach so: www.stundengebet.de