Moment mal: Um die Ecke denken

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Es soll ja Menschen geben, die hängen dem Irrglauben an, dass der direkte Weg immer auch der kürzeste sei...

...und dann gibt es wiederum Menschen, die sind der felsenfesten Überzeugung, dass man ohne Umwege überhaupt nicht zum Ziel kommt.

Und damit bin ich schon bei Thomas Binotto, der ist nicht nur der legendäre Filmleser, sondern auch ein Schwarzgurt-Meister im Um-die-Ecke-Denken (und nebenbei noch ein wundervoll unterhaltsamer Journalist und Autor).

Mit dem Um-die-Ecke-Denken ist es ja so eine Sache: Ich stelle mir das vor wie einen Spaziergang mit einem jungen, wilden, leider noch nicht tadelfrei durch die Hundeschule gegangenen Haustier – nennen wir den Hund der Einfachheit halber Oscar. Oscar zieht und zerrt also an der Leine, schnüffelt hinter jede Ecke. Wehe, man passt einen Moment nicht auf, dann reisst er einem die Leine aus der Hand und jagt kreuz und quer, über Feld und Stein. Und man muss sehen, wo man ihn dann wieder einfängt.

Das Um-die-Ecke-Denken ist nichts Planvolles oder gar Gemütliches. Sondern kann ganz schön aufregend sein. Und anstrengend. Und einen völlig aus der Puste bringen.

Wer um die Ecke denkt, ist Hund und Herrchen gleichzeitig. Dahinter steckt die Erfahrung, dass man seine Gedanken ruhig mal von der Leine lassen darf. Nicht hinter jeder Ecke lauert die Offenbarung, aber man muss mal Haken schlagen und überall einmal schnüffeln dürfen, um überhaupt Witterung aufzunehmen.

Das Tollste dabei ist, wenn auf der anderen Häuserzeile auch jemand seinem Gedanken freien Lauf lässt, und zwei wild gewordene Oscars dann unvermutet aufeinander prallen.

Es ist ein wundervolles Schauspiel, zwei Gedanken dabei zu beobachten, wie sie miteinander spielen. Mal sehen, wer früher aufgibt...

Man merkt in diesen Momenten, wie ungebremst wir uns gewöhnlich auf unendlich langweiligen Gedanken-Autobahnen bewegen, Navi an, Autopilot an, nur ja keine Überraschungen.

Und damit zurück zu Thomas Binotto. Heute stellt er seinen neuen Podcast vor: "Ohne Punkt und Komma" teilt er sich immer eine Schlagzeile, um dann eine halbe Stunde lang mit seiner Gesprächspartnerin um die Ecke zu denken.

(Die Musik dazu ist von Nick & Clemens Prokop – TYE Shows, das als Disclaimer.)

"Ohne Punkt und Komma" ist eine halbe Stunde vergnüglicher, kurzweiliger Horizonterweiterung. Der Podcast kann kostenlos abonniert werden, und allein schon das "Making Of" zur ersten Folge ist lesenswert als ein Beispiel für kreatives Zusammenarbeiten in Corona-Zeiten.

Dringende Empfehlung: unbedingt reinhören! Hier klicken für den Podcast.

(Clemens Prokop)