Die Kunst der Stunde: Macht geben

Der Kredit liegt auf dem Tisch.
Verhandelt werden die Zinsen.
(via Pixabay)

Die Szene fasziniert mich immer wieder aufs Neue: Da steht Jesus also vor dem mittelmäßigen Provinzpolitiker Pontius Pilatus und sagt ihm – ob salbungsvoll oder rotzig, das muss sich jeder selbst überlegen – ins Gesicht, dass er doch nur ein armes Würschtel ist.

Okay, laut Johannes war's ein etwas anderer Wortlaut:

Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre...

Es kommt aufs Gleiche raus. Und man muss jetzt kein ausgefuchster Küchenpsychologe sein, um zu ahnen: Deeskalation funktioniert anders.

Dass alle Macht nur geliehen und verliehen ist, und zwar immer und ohne Ausnahme, dieser Gedanke spielt in unserer Welt der Turbo-Selbstoptimierer und Alpha-Macchiavellisten eine viel zu geringe Rolle.

Das Verrückte daran: Es ist überhaupt nicht nur auf die offensichtlichen Macht-Strukturen beschränkt, sondern zieht sich bis hinein in den Arbeitsalltag und unsere persönlichen Beziehungen.

Ich habe mich erst kürzlich dabei ertappt, dass ich mich über einen Menschen fürchterlich aufregen musste – um mich sofort über mich selbst zu nerven: Warum nur gebe ich ihm diese Macht über mich? Warum lasse ich zu, dass ich mir von ihm die Laune verderben lasse? Ja, warum eigentlich? Es zwingt mich ja niemand.

Da ist, um mal ein Beispiel zu erfinden, ein Unternehmenschef. Charismatische Persönlichkeit, toller Typ, alles was man sich wünschen kann: klug, visionär und mächtig erfolgreich. Und dann treibt er gleichzeitig seine Leute in den Wahnsinn durch erratische Entscheidungen und die Karikatur von Führung.

Es gibt Menschen, die werden davon zerrieben. Die zerbrechen daran.

Wieweit erlaube ich jemanden, Macht über mich zu haben? Oder, anders gefragt: Wie schaffe ich es auch, jemandem die Macht über mich wieder zu entziehen?

Wenn die Macht, wie Jesus sagt, nur verliehen ist, dann ist dieser Verleih nichts anderes als ein Kredit: der verzinst und zurückgezahlt werden muss. Wer diesen Kredit verschleudert, den ihm Freunde oder Mitarbeiter geben, steht bald mit leeren Händen da.

Warum also sollte ich nachlässig mit meinen Aussenständen umgehen? Meine Bank tut's mit mir ja auch nicht.

(Clemens Prokop)