Die Kunst der Stunde: Gedanken fassen

Teufelsbraten bzw. Spinngockel, medium rare
(via Pixabay)

Ich muss heute mit einem Geständnis beginnen. Leonard, den ich sehr liebe, habe ich in meiner Überforderung oft nicht Leonard gerufen, sondern nur "Du Teufelsbraten!", so dass wir Eltern schon Sorgen hatten, er wüchse auf im festen Glauben, das sei sein eigentlicher Vorname.

Die Zeiten haben sich geändert, was im Wesentlichen dem segensreichen Wirken von Frau Sommerauer im Kindergarten Windegg zu verdanken ist. Aus dem Teufelsbraten ist ein Kindskopf geworden, und ich ertappe mich dabei, wie ich häufig nur "Du Spinngockel!" in seine Richtung kommentiere.

Was soll ich auch anderes sagen? Immerhin kann er mittlerweile seinen Namen korrekt schreiben – von dieser Seite droht also keine Gefahr.

Die fürchterlichen Nebenwirkungen kennen andere Betroffene wahrscheinlich auch. Wir haben jetzt ungebremst den sogenannten Kindsgi-Humor im Haus. Da helfen natürlich weder Masken noch Desinfektionsspray.

Kindsgi-Humor tritt bei Männern aller Altersklassen auf und ist mit dem Versuch, Witz-Konzepte bei gleichzeitigem Verzicht auf jede Pointe zu entwickeln, nur unzureichend beschrieben. In unserem Fall wiederholt sich der Wahnsinn in nicht abzustellenden Dauerschleifen und wird fallweise mit fehlerhaften Liedfragmenten und Räuberpistolen garniert.

Soviel zu meiner geistigen Verfassung.

Wer jemals gezwungen war, in einer solchen Umgebung auch nur einen halbwegs brauchbaren Gedanken zu fassen, weiß genau, wovon ich...

Hey, ich versuch grad zu arbeiten!

So ein Gedanke ist ja auch ein faszinierendes Lebewesen. Manchmal kommt es mir vor wie ein Pflänzlein, das Erde, Wasser, Licht – und vor allem Zeit braucht, um zu keimen. Dann muss man mal abwarten, was sich draus entwickelt.

Können vor Lachen, wenn der Knilch schon wieder Pointenfreies zum Besten gibt!

Dieser Zwang zur Gemächlichkeit hat sich in der Sprache niedergeschlagen. Kann man Gedanken nachjagen? Ich bin mir ziemlich sicher, das wird niemals funktionieren. Man kann ihnen nur nachgehen. Und wenn man Glück hat, wird man sie schliesslich fassen.

Auch wenn ich oft den Eindruck habe, mühsam ein paar Gedanken einzufangen wie Kinder einen Schmetterling auf der Wiese, jetzt wird klar: Natürlich meint dieses Fassen nicht den Triumph beim Räuber-und-Gendarm-Spiel, sondern ein Einfassen wie bei einem Edelstein.

Ein Gedanke ist ja nicht plötzlich und einfach so da. Es sind lauter kleine Ideen, die sich aneinander kletten zu manchmal seltsamen, fragilen Gebilden. Vielleicht ist das eine Art chemischer Vorgang, und Gedanken sind nichts anderes als Moleküle des Intellekts – wer weiß?

Auf jeden Fall muss man diese chemischen Reaktionen abwarten. Und sehen, ob und was passiert. Man muss einen Gedanken bitte zu Ende denken kö...

...Leonard!

Und selbst dann bleibt immer noch die Frage: Sind meine neuronalen Splitter überhaupt wertvoll genug, gefasst zu werden wie ein Schmuckstück?

Da muss ich gleich mal den Spinngockel fragen.

(Clemens Prokop)