Die Kunst der Stunde: Verändern

Nach langer Zeit und aus Versehen war ich in der alten Heimat, noch dazu mit dem Fahrrad. Das war vielleicht seltsam!

Ich fuhr meinen Schulweg entlang, und alles ist noch da: das kleine Waldstück, das bei Regen immer so glitschig wurde. Das Grundstück der Nachbarn, die bauten damals neu, und längst sind die Bäume übers Dach gewachsen. Der Bauer, bei dem wir immer Milch holten, erwidert meinen Gruß, ohne mich zu erkennen.

Mit seltsamer Neugier fahre ich an unserem ehemaligen Haus vorbei. Ich kenne die Menschen nicht, die jetzt hier leben. Und wenn ich betrachte, wie sie den Ort meiner Jugend zu dem Ort ihrer Gegenwart umgestaltet haben, verspüre ich keinerlei Verlangen, ihnen zu begegnen.

Ich halte nicht an. Ich fühle mich als ein Voyeur, der hier nichts verloren hat.

Am Ortsausgang musste ich dann doch absteigen. Der Anblick fesselt mich. Dieser langweilige Rohbau hier steht seit ewig und drei Tagen, ich kenne diesen Flecken gar nicht anders als: unfertig und unbewohnt.

Dieses Bauwerk ist eine Provokation.

Es ist ein grausames Sinnbild für Stillstand.

Dieses Haus hat vor vielen Jahren einmal aufgehört, Haus zu werden. Es ist ein stummes Zeugnis aufgegebener Pläne. Ein Monument der Sinnlosigkeit, aus der Zeit gefallen. Die dunklen Löcher in der Fassade gähnen mich an. 

Es muss eine Geschichte hinter diesem Bau geben. Ich kenne sie nicht. Oft habe ich mir ausgemalt, was wohl passiert sein mag. Nie habe ich hier jemanden arbeiten gesehen. Ich habe hier überhaupt noch nie eine Menschenseele gesehen. Und doch... nach ein paar Minuten wundere ich mich, warum das Gras nicht viel höher steht.

Immerhin einen Lebenszweck hat der Bau erfüllt. Manchmal, wenn wir Kinder besonders mutig waren, trauten wir uns, hier zu spielen. Obwohl doch ein gelbes Schild eindeutig drohte: "Eltern haften für ihre Kinder!"

Ich strample weiter, vorbei am völlig überwucherten Rastplatz mit dem einst einmal treffenden, heute unfreiwillig ironischen Titel "Zur schönen Aussicht", und nehme mir vor, meine eigenen ewigen Baustellen dringendst wieder zu betreten.

Veränderung ist doch etwas Wunderbares!

(Clemens Prokop)