Die Kunst der Stunde: Zweifeln

Ob das ein passendes Bild ist? (via Pixabay)
Ich bin mir nicht sicher, ob das heute etwas wird. Schon lange habe ich Lust, übers Zweifeln zu schreiben. Aber ich tigere unschlüssig um das Thema herum, ohne mich recht heranzutrauen.

Ausserdem – soviel zu meinem sportlichen Ehrgeiz – stelle ich mir einen Text vor ganz ohne den angeblich ungläubigen Thomas.

Geht das überhaupt?

Der wird doch sonst immer bei solchen Gelegenheiten sofort reingerollt, um dann mit Links und Eleganz eine Dialektik auszubreiten zwischen seinem völlig legitimen Wunsch, sich kein X für ein U vormachen zu lassen, und unserer eigenen, weniger komfortablen Situation, dass wir nicht mehr so mal eben nachfragen können.

Und nur fürs Protokoll: Thomas finde ich großartig. Er gehört zu den vielen vernünftigen Figuren der Bibel, die uns immer wieder daran erinnern, dass Menschen auch vor dem Zeitalter der Aufklärung keine naiven Volltrottel sein mussten.

Ich bin sicher: Zweifel ist kein Charakter-Defekt. Und schon gar nicht ist Zweifel das deprimierende Gegenteil von glorioser Glaubensstärke. Sondern eine Kunst, auf die es im Leben besonders ankommt.

Richtiges Zweifeln ist nur was für Könner. Denn beim Zweifeln kann man fürchterlich viel falsch machen.

Unsachgemäss eingesetzt, wirkt Zweifel schlimmer als Salzsäure. Er frisst sich durch alles hindurch.

Es gibt Menschen, die zweifeln wie die Weltmeister. Sie zweifeln vor allem an sich selbst, an ihren Fähigkeiten und Begabungen, an ihren Entscheidungen und Beziehungen. Immer wieder von Neuem.

Diese dauernden Schleudergänge ohne Not-Stopp sind keine Zweifel mehr, das ist die pure Selbstzerstörung. Und wir dürfen uns hier nichts vormachen: Die kann brand- bis wirklich lebensgefährlich werden.

Dann gibt es Menschen, die zweifeln an allen anderen. Die können sich in hundert kalten Wintern nicht vorstellen, dass es jemand gut mit ihnen meint, liebevoll und ehrlich. Oft genug sind sie gebrannte Kinder. Die wittern überall Lüge, Verrat und Enttäuschung.

Der Zweifel verkleidet sich hier als Selbstschutz, aber in Wahrheit ist er ein rabiates Misstrauen. Da ist das Urteil längst gesprochen, und auf Berufung braucht niemand zu hoffen.

Denn der gesunde Zweifel lässt zunächst einmal mehrere Möglichkeiten offen. Er legt sich nicht vorschnell fest. Und – das ist ein noch viel wichtigeres Kennzeichen – er will gelöst werden. Er drängt zu einer Lösung. Die hohe Kunst ist es, nicht im Niemandsland des Nichtwissen stehen zu bleiben, sondern den Zweifel in eine bewusste Entscheidung zu überführen.

Vielleicht ist "Skepsis" gar nicht der kleinere Bruder des Zweifels, sondern das viel bessere Wort für die gesunde Art, Entscheidungen nicht ohne Not anderen zu lassen.

Übrigens: Jene Menschen, die keine Zweifel kennen – vor allem keine Selbstzweifel –, muss niemand beneiden. Ihnen fehlt ein wichtiger Sensor für die eigenen Unzulänglichkeiten und Defizite. Es mag ja schön sein, sich für die hochgenialische Krone der Schöpfung zu halten. Ein Wahn bleibt es dennoch.

Vom Alchemisten Paracelsus stammt die Einsicht, dass alles Gift ist, es kommt allein auf die Dosis an. Er muss dabei an den Zweifel gedacht haben, der nur bei kontrollierter Abgabe in kleinsten Dosierungen seine gesunde Wirkung entfalten kann.

Aber wahrscheinlich hilft uns das jetzt auch nicht weiter.

(Clemens Prokop)