Die Kunst der Stunde: Kuscheln

Ein echter Knuddelkuschler, kampferprobt
Ich weiß gar nicht mehr, was es war. Es war jedenfalls sehr schlimm, meine Fähigkeiten als Tröstmeister waren dringendst benötigt. Das Mädchen kuschelte sich an mich, und als die Tränen allmählich versiegten, sagte die Große: "Papa, schreib doch mal was übers Trösten".

Doch bevor ich noch "das habe ich doch längst" sagen konnte, korrigierte sich Magdalena:  "Trösten ist viel zu traurig. Schreib lieber etwas übers Kuscheln."

Na gerne doch. Versuchen kann ich's ja mal.

Obwohl mir mit Kuschelrock und -sex sofort Assoziationen zwischen den Hirnrinden krabbeln, die mir auf Anhieb nicht gerade zielführend scheinen.

Der Kuschelkurs? Ist auch kein guter Weg. Er hat was Verschlagenes und Feiges: Tuchfühlung aus niederen Beweggründen, sozusagen.

Schlimmer ist da nur noch die Kuschelpädagogik: Ihr trieft das hämische Misstrauen schon aus den Einzelsilben. Kuscheln ist in diesem Kontext ja nur etwas für konflikt- und arbeitsscheue Weicheier.

Und wer kuschelt, dem traut man besser nicht, der tanzt am Ende auch noch seinen Namen...

Ich dagegen halte Kuscheln für einen unverhandelbaren Bestandteil des Tröstens. Zum Trösten, schrieb ich damals, gehört das Getröstet-werden-lassen-wollen. Und das geht nunmal am allerbesten mit Kuscheln. Dafür braucht es keine Worte, sondern nur ein stummes "Komm doch her und setz dich auf meinen Schoß".

Wenn Streit in der Luft liegt und ein Wort das andere gibt, dann ertappe ich mich, dass ich ein völlig dämliches und deplatziertes, dennoch crescendierendes Zischen in Richtung Kinderzimmer losschicke. Meist begleitet von einem – in meiner Hilflosigkeit schon wieder putzigen – Deeskalations-Appell: "Bitte nicht streiten, Kinder, wenn's irgendwie geht".

Diese Momente enden dann immer damit, dass ich ein oder zwei Kinder kuscheltröstend auf den Knien sitzen habe. Ich kann zwar so nicht arbeiten. Aber wen interessiert denn sowas? Die Situation ist allemal besser als Streiten und Schimpfen.

Kuschelbär kann ich.

Dabei weiß ich gar nicht ganz genau, wie Kuscheln richtig geht. Wir sind uns aber einig: Kuscheln nur mit dem kleinen Finger – das funktioniert nicht. Kuscheln bloß mit der Nasenspitze – auch sehr schwierig. (Ich wiederum, aber das ist vielleicht ein Sonderfall, und ich kann das hier nur ausplaudern, weil es eh keine Geheimnisse gibt, ich also kann mir sehr gut vorstellen, einfach nur mit den Fußen zu kuscheln.)

Irgendwie muss das etwas mit Körperberührungsmaximierung zu tun haben.

Aber anders als bei einer einfachen Umarmung scheinen im Kuscheln gewisse Positionswechsel angelegt zu sein: die Nase von von der linken in die rechte Halskuhle legen, die Fingerkuppen über den Nacken streicheln lassen und übers Haar streichen... Manchmal dauert es nicht lang, und wir sind mitten im wilden Rumturnen. Dann ist aber gleichzeitig auch schon erfolgreich getröstet.

Haken dran, Kinder: Hoppsen könnt ihr auch allein, dafür braucht ihr keinen bandscheibengebeutelten alten Mann. Ich hab euch trotzdem lieb.

Zum echten Kuscheln gehören unbedingt und immer zwei. Unser etwas unübersichtlicher Kinderzimmer-Streichelzoo der Kuscheltiere könnte von dieser Grundregel ablenken.

Ich weiß auch nicht, warum ich jetzt so lange gebraucht habe, um endlich auf Linus van Pelt zu kommen. Er ist bestimmt der weltberühmteste Kuscheldeckenliebhaber – und es barmt mich immer, wenn ich ihn bei den Peanuts sehe: Merkt denn niemand, wie unendlich einsam er sich fühlt?

Der Netdoctor klärt mich auf, dass Kuscheln lebenswichtig ist. Die Berührungen setzen Dopamin und Oxytocin frei; das eine sei wichtig für das Gefühls(er)leben, das andere für die Bindung unter uns Menschen, für Zuwendung und Vertrauen.

Wenn es wahr ist, was der Netzarzt im folgenden ausführt, dann geht es grade so weiter. Kuscheln könne beim Stressabbau helfen und beim Kampf gegen Ängste. Es steigert Wohlbefinden und sogar die Gedächtnisleistung.

Das mit der Gedächtnisleistung würde ich gerne selbst irgendwann mal erleben, aber den Rest kann ich empirisch bestätigen.

Und da sind die sensationellen Auswirkungen auf Kreislauf und Immunsystem noch gar nicht gepriesen.

Selbst sollte nur die Hälfte dieser Wunderdinge wahr sein, steht für mich fest: Wir sollten alle viel mehr kuscheln! Und uns ohne große Worte sagen: Ich hab dich lieb. Und: Du bist mir wichtig!

Wir müssen dafür nicht bis zum 21. Januar warten. Danke, Corona, dass es im Augenblick für den nächsten Weltknuddeltag echt düster aussieht.

(Clemens Prokop)