Moment mal: Zufälle

Connecting the dots
Original image by whitney waller,
red lines added / CC BY-SA
Unsere Altpapier-Produktion erreicht zurzeit wieder Höchststände. Das liegt wesentlich an Leonards Unermüdlichkeit, Post für mich zu krakeln und unter der Bürotür durchzuschieben. Manchmal sind das Liebesbriefe, Theatereinladungen oder Terminerinnerungen (Teleforenz!).

Neulich stand sogar fett "Steuer" drauf. Naja, denke ich mir: Nett geht anders.

Da ist es doch besser, er arbeitet an seinem Block mit Zahlenbildern. Er verbindet aufsteigende Zahlen, und Punkt für Punkt entsteht ein Drache, Zwerg oder Fliegenpilz – je nachdem, wie kreativ er mit dem Zählen umgeht.

Ich mache das auch sehr gerne. Wenn sich nachts die Milchstraße über unsere Terrasse wölbt, liebe ich es, mich in den Sterne zu verlieren und imaginäre Verbindungen zu ziehen. Ich bin kein versierter Astronom, noch weniger bin ich Astrologe; ich schaffe mir meine eigenen phantastischen Sternbilder – mitunter auch Drache, Zwerg und Fliegenpilz.

Wahrscheinlich geht es allen Menschen so: Ich bin ziemlich sicher, dass ich es niemals schaffen werde, den Großen Wagen nicht als Sternbild zu sehen. Genau so geht es mir, viel zu selten leider, mit dem Kreuz des Südens: Majestätisch schwebt es wie segnend am Himmel. Völlig undenkbar, nicht automatisch die Lichtpunkte miteinander zu verbinden.

Und genau deshalb glaube ich felsenfest daran, dass es keine Zufälle geben kann.

Ich erlebe immer wieder hitzige Streitgespräche zwischen Menschen, die sagen: Was auch passiert, es ist einzig Zufall, und Menschen, die hinter allem die vorsehend-ordnende Hand Gottes ahnen. Ich bin, sonst selten um eine Meinung verlegen, in diesen Momenten mal besser still.

Die so genannten Zufälle im Leben, das sind für mich die Punkte in Leonards Malbuch – oder die funkelnden Sterne am Nachthimmel. Es ist kein Designfehler des menschlichen Hirns, wenn wir zwischen diesen Punkten Verbindungen herstellen – sondern eine kreative Kraft, Sinn zu stiften. 

Und zwar, zunächst einmal: Sinn für mich.

Ich erkenne, in welchen Spannungs- und Kräfteverhältnissen sich mein Leben bewegt. Und welche Möglichkeiten sich mir immer wieder auftun, gestaltend mitzuwirken. Nicht egoistisch mein eigenes Glück zu maximieren. Sondern meinen Platz im Leben zu begreifen, meine eigenen Handlungsmöglichkeiten, diese Welt ein kleines Stück besser zu machen. 

Der rational aufgeklärte Zweifler sagt: Der Zufall hat nichts mit mir zu tun. Ich bin der Welt sowas von egal.

Ich als Christ sage: Alles hat mit allem zu tun, und die Welt ist mir sowas von überhaupt nicht egal. Ich bin ein aktiver, handelnder Teil dieser Welt. Ich habe eine Aufgabe, ich übernehme Verantwortung.

Es spielt also überhaupt keine Rolle, ob ich an Zufälle glaube oder nicht. Sondern einzig und allein, was ich daraus mache.

Indem ich die Punkte meines Lebens immer wieder verbinde, entsteht aus vielen einzelnen Ereignissen mein ganz persönliches Weltbild. Mir ist bewusst: Ein Unikat, und was für eins!

Und manchmal geht es mir nicht anders als Leonard, dem Fünfjährigen: Da muss ich radieren und korrigieren.

(Clemens Prokop)